Verwendung von Stahlwerksschlacken in der Zementindustrie

Stellungnahme zu Yüksel, I., Özkan, Ö.:Physikalische und mechanische ­Eigenschaften von Kompositzementen. ZKG INTERNATIONAL 12/2009, S. 54.

In dem Beitrag von Yüksel und Özkan werden Klinkeraustauschraten von 60–80  % durch Hüttensand und Stahlwerksschlacke (konkret: LD-Schlacke) postuliert. Da dies für „Portlandkompositzemente“, auch wenn man die Vorgaben der EN 197-1 außer Betracht lässt, ein sehr ambitioniertes Ziel darstellt, muss man die dargestellten Ausführungen kritisch hinterfragen. Hierzu soll diese Stellungnahme dienen.

Zunächst einmal ist grundsätzlich festzustellen, dass es sich bei Eisenhüttenschlacken (Bild 1) nicht um ­„Industrieabfälle“ handelt. Bereits jetzt enthält der Europäische Abfallkatalog ­lediglich die Einträge 10  02  01 (Wastes from the processing of slag) und 10  02  02 (Unprocessed slag), nicht aber die Eisen­hüttenschlacken, die, wie üblich, für die Nutzung aufbereitet werden [1]. Des Weiteren hat die Europäische Kommission im Jahre 2007 für Hoch­ofenschlacken explizit an­erkannt, dass sie nicht unter die Definition von Abfall fallen [2]. Diesen rechtlichen Status zu erreichen bedurfte intensiver Arbeiten sowohl in der Forschung wie in der Anwendung. Das Erreichte sollte nicht durch ungerechtfertigte Pauschalisierungen gefährdet werden.

Nicht erst „im vergangenen Jahrzehnt“ hat die Nutzung von Eisenhüttenschlacken, z.  B. die von Hüttensand als Zementbestandteil, „große Bedeutung erlangt“. Es existieren vielmehr in Europa und vielen weiteren Ländern jahrzehntelange Aktivitäten sowohl von Seiten der schlackenerzeugenden Stahl- wie der schlackennutzenden Baustoffindustrien, wie z.  B. der Zementindustrie, Eisenhüttenschlacken einer technisch hochwertigen und ökologisch verträglichen Verwendung zuzuführen. Eine Zusammenstellung über den derzeitigen Stand der Technik ist z.  B. in [3–6] zu finden. Durch die Diskussion um industrieverursachte CO2-Emissionen wurden diese Bemühungen „im vergangenen Jahrzehnt“ allenfalls in der Zementindustrie verstärkt, da hier insbesondere der Hüttensand ein erhebliches CO2-Minderungspotential bietet [7]. Dennoch wird Hütten­sand nicht erst „seit den 1940er Jahren“ genutzt [8, 9]. So wurde in Deutschland bereits 1909 der erste hüttensandhaltige Zement genormt [10], in England 1923. Vielleicht muss berücksichtigt werden, dass der Kenntnis- bzw. Entwicklungsstand in verschiedenen Regionen der Welt noch sehr unterschiedlich ist.

Um Versuchsergebnisse vergleichend diskutieren zu können ist es notwendig, neben dem Stand der Technik die gesamte Probenpräparations- und Auswertemethodik reproduzierbar und transparent an- und darzulegen. Auch in dieser Hinsicht besteht bei dem Beitrag von Yüksel und Özkan noch erhebliches Optimierungspotential. Einige kritische Aspekte sind im Folgenden dargestellt.

Über die Nutzung von Stahlwerksschlacken als Zementbestandteil oder auch Rohmehlkomponente liegt bereits eine Vielzahl an Untersuchungen, Publikationen und Patenten vor, die in dem Artikel aber nur sehr begrenzt herangezogen wurden bzw. unbekannt zu sein scheinen. Dabei muss unterschieden werden, ob Stahlwerksschlacke, z.  B. LD-Schlacke, nur gemahlen und mit Portlandzement gemischt wird (z.  B. [11–14 u. Bilder 2-4]) oder ob die flüssige Schlacke chemisch modifiziert und anschließend gekühlt wird (z.  B. [15, 16]).
Auch die Angaben zum Aufkommen und Nutzungsgrad von Stahlwerksschlacken müssen differenziert betrachtet werden. So werden in Deutschland nur 11 %, in Europa nur 6  % aller Stahlwerksschlacken (also LD- und Elektroofenschlacken) deponiert, nicht die von den Autoren pauschal genannten 35  % [17]. Ferner wird „Hochofenschlackenzement“ schon lange nicht mehr nur in „Rohrmühlen“ hergestellt.

Bewertet man die zahlreichen Publikationen zum Thema, so kann man sicherlich nicht pauschal von „zementartigen Eigenschaften von Stahlwerksschlacken“ sprechen. Viel eher handelt es sich überwiegend um inerte Materialien, wie ja an anderer Stelle im Text auch bestätigt wird. Hüttensand und LD-Schlacke kann demnach keine „puzzolanische Reaktion“ zugeschrieben werden. Hüttensand hat bekanntermaßen latent-hydraulische Eigenschaften. LD-Schlacke ist weitgehend inert, sieht man von gewissen Freikalkgehalten ab. Diese sind aber insbesondere im Hinblick auf die Raumbeständigkeit von Bedeutung. Die vorhandene C2S-Phase liegt üblicherweise in der b-Form vor, die ohne gleichzeitige Anwesenheit von C3S nur sehr langsam reagiert. Die Aussagen zum Gehalt an Cr-Verbindungen vermengen verschiedene Aspekte und berücksichtigen z.  B. nicht die Tatsache, dass in LD-Schlacken trotz der vorhandenen Crges-Gehalte und des oxidierenden Prozesses keine relevanten Gehalte an Cr(VI)-Oxid auftreten, da die Oxidation von metallischem Fe zu Fe-Oxiden thermodynamisch begünstigt ist. Gerade dieses Thema ist für die Zementindustrie von Bedeutung [18].

Hinsichtlich der Versuchsdurchführung ergeben sich aus der Beschreibung der Herstell- und Lagerungsbedingungen der Prüfkörper gravierende Abweichungen gegenüber den Anforderungen der EN 196 bzgl. Lagerung und Prüfung (z.  B. Sägen der Prismen).

Bei der chemischen Analyse erscheint es, als ob der metallurgische Ursprung der Stoffe nicht wirklich berücksichtigt wurde. So ist in Tabelle 1 z.  B. für den aus dem reduzierenden Hochofenprozess stammenden Hüttensand statt FeO nur die höhere Oxidationsstufe Fe2O3 angegeben. Angaben zum metallischen Eisen fehlen, sind aber für die LD-Schlacke sehr wichtig, u.  a. wegen mahltechnischer Fragen. Auch Angaben zum Freikalkgehalt fehlen.

Bei den diskutierten Untersuchungen ist auch die Herstellung der Mischungen von Bedeutung und sollte nachvollziehbar sein. So wurde beschrieben, dass 70  % des vorgemahlenen Hüttensandes mit 30  % vorgemahlener LD-Schlacke gemischt und dann gemeinsam auf etwa 3500 cm²/g gemahlen wurde. Diese Mischung wird dann gemeinsam mit „Portlandzement“, gemeint war vermutlich Portlandzement-Klinker, auf unterschiedliche Endfeinheiten gemahlen. Da die Mahlbarkeit von Hüttensand, LD-Schlacke und Portlandzementklinker sehr verschieden ist, liegen die drei Stoffe in den Mischungen mit Sicherheit in sehr unterschiedlicher Feinheit vor, auch wenn die Gesamtfeinheit innerhalb einer Versuchsgruppe konstant bleibt. Daher sind Schlussfolgerungen über die Wirkung der Feinheit auf die Bindemitteleigenschaften wenn überhaupt, dann nur sehr beschränkt möglich. Auch ist der Blainewert nicht die ausschlaggebende Größe zur Beschreibung der Feinheit, vielmehr ist die Korngrößenverteilung wichtig. Angaben hierzu fehlen. Wenn der Referenz-OPC 3400 cm2/g aufweist, die verschiedenen Mischungen aber mindestens 3800 cm2/g, so fehlt eine direkte Vergleichsmöglichkeit. In der Mischung S3a mit 4600 cm²/g wird die Klinkerkomponente (80  %) durch die gewählte Art der Mahlung so fein sein, dass die höheren Festigkeiten völlig plausibel sind und nichts mit der Reaktion von Hüttensand oder LD-Schlacke zu tun haben.

Dass das Erstarren verzögert wird liegt nicht am „Gehalt an MgO und AI2O3“, wie postuliert wird (Abschnitt 3.1), sondern vermutlich am verringerten Klinkergehalt. Aussagen zur Sulfatdosierung fehlen völlig, sind aber in diesem Zusammenhang natürlich von Bedeutung. Die Beurteilung der Volumenzunahme nach EN 196-3 greift zu kurz. Gerade bei der Verwendung von LD-Schlacken mit evtl. erhöhten Freikalkgehalten ist es nahezu sicher, dass Mörtel und Betone Probleme mit der Raumbeständigkeit aufweisen werden. Die Frage der Raumbeständigkeit von LD-Schlacken wurde schon vor über 30 Jahren eingehend diskutiert. Die Reaktion von freiem Kalk und MgO hat demnach keine „Auswirkung auf die Volumenbestimmung“, sondern auf das reale Dehnverhalten (Abschnitt 3.1).

Portlandkompositzemente sind in EN 197-1 klar definiert. Die im Beitrag behandelten Kombinationen fallen nicht darunter. Insbesondere die Mischungen mit nur 20–60  % Klinker haben mit europäisch genormten Portlandkompositzementen nichts zu tun.

Zusammenfassend muss man festhalten, dass die im Beitrag von Yüksel und Özkan diskutierte Nutzung von Stahlwerksschlacken als Zementbestandteil durchaus einer weiteren Diskussion bedarf. Die postulierten hohen Substitutionsraten sind durch die dargestellten Versuchsergebnisse nicht gerechtfertigt, zumal wenn man die Anforderungen an moderne Zemente bzw. Betone, z.  B. hinsichtlich der Frühfestigkeit, berücksichtigt. Bei weiteren Diskussionen sollte aber nicht nur die Option der Mahlung und Zumischung der LD-Schlacke zu anderen Zementbestandteilen, wie Portlandzementklinker und Hüttensand, berücksichtigt werden, sondern auch die Option der Transformation der flüssigen Schlacke zu Klinker.

[1] Environmental Protection Agency: European Waste Catalogue and Hazardous Waste List, valid from 1. January 2002

[2] Communication from the Commission to the Council and the European Parliament on the Interpretative Communication on waste and by-products, Brussels, 21.2.2007, COM(2007) 59

[3] Engineering of slags – A scientific and technological ­challenge, Proceedings of the 2nd European slag conference, Düsseldorf,
9.–11.10.2000, Euroslag Publication Nr. 1

[4] Manufacturing and processing of iron and steel slags, Proceedings of the 3rd European slag conference, Keyworth, 2.–4.10.2002, Euroslag Publication Nr. 2

[5] Slags – Proving solutions for global construction and other markets, Proceedings of the 4thd European slag conference, Oulu,
20.–21.06.2005, Euroslag Publication Nr. 3

[6] Slag products – Providing sustainable solutions for the built environment, Proceedings of the 5thd European slag conference, Luxemburg, 19.–21.09.2007, Euroslag Publication Nr. 4

[7] Ehrenberg, A.: Cüruf Kullanimina Cevre Açisindan Baki?, Cimento ve Beton Dünyasi 10 (2005) Nr. 56, S. 36–51

[8] Ehrenberg, A.: Hüttensand – Ein leistungsfähiger Baustoff mit ­Tradition und Zukunft, Beton-Informationen 46 (2006) Nr. 4,
S. 35–63, Nr. 5, S. 67–95

[9] Ehrenberg, A.: GBS Potential, Worldcement 40 (2009) Nr. 9,
S. 137–144

[10] Deutsche Normen für einheitliche Lieferung und Prüfung von ­Eisenportland-Zement, Dezember 1909

[11] National Standard of the People’s Republic of China GB13590-92: Steel and iron slag cement, 1

[12] Dongxue, L. et al.: Durability of steel slag cement, Cement and Concrete Research 27 (1997) Nr. 7, S. 983–987

[13] Duda, A.: Hydraulic reactions of LD steelworks slags, Cement and Conrete Research 19 (1989) Nr. 5, S. 793–801

[14] Kollo, H.: Hydraulische Eigenschaften und zementtechnologische Eignung von Stahlwerksschlacke, Beton-Informationen 26 (1986) Nr. 4, S. 35–40

[15] Murphy, J. N. et al.: Enhancing of the cementitious properties of steelmaking slag, Canadian Metallurgy Quarterly 36 (1997) Nr. 5,
S. 315–331

[16] WO 2007/013087 A1: A process for conversion of basic oxygen furnace slag into construction materials

[17] Angaben des Fachverbands Eisenhüttenschlacken e.V. und von ­EUROSLAG

[18] Directive 2003/53/EC of the European Parliament and of the Council of 18. June 2003 amending for the 26th time Council Directive 76/769/EEC relating to restrictions on the marketing and use of certain dangerous substances and preparations (nonylphenol, nonylphenol ethoxylate and cement)

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