Bernard Lekien war Präsident des Europäischen Gipsverbandes seit 2010. Auf dem 29. Kongress von Eurogypsum, der am 10.-11.05.2012 in Krakau/Polen stattfand, endete seine Amtszeit und Mauricio Casalini wurde als neuer Präsident bekannt gegeben. ZKG hatte die Gelegenheit, Bernard Lekien zur Entwicklung der europäischen Gipsindustrie zu befragen.
ZKG: Herr Lekien, was sind zurzeit die wichtigsten Themen für die europäische Gipsindustrie?
Bernard Lekien: Die zwei zurzeit wichtigsten Themen für Eurogypsum sind das Emissionshandelssystem (ETS) einschließlich der Risiken des Carbon Leakage sowie das Recycling von Bauschutt aus Gips. Wie Sie wissen, ist die europäische Gipsindustrie als eine grüne Industrie bekannt. Sie erfasst den gesamten Lebenszyklus des Produkts. Gips ist eine einzigartige positive Antwort auf die komplexen Umweltprobleme dieses Jahrhunderts, sei es bezüglich der Beschaffung von Rohstoffen, des Einsatzes von Gipsprodukten in Gebäuden und ihres Recycling am Ende ihrer Nutzungsdauer. Weiterhin bietet Gips sichere, kostengünstige, komfortable und geeignete Lösungen für die gebaute Umwelt. Im Bereich des ETS haben wir das Möglichste getan bei der Durchsetzung grüner Technologien, um unsere CO2-Emissionen zu reduzieren. Das ETS in Phase 3, d.h. ab 01.01.2013, gilt dann auch für unsere Industrie. Entsprechend einer von Ecofys 2010 vorgenommenen vergleichenden Bewertung bedeutet das ETS für die 59 betroffenen europäischen Anlagen Kosten in Höhe von 7,3 Mio. € im Jahr 2013 und weiter Kosten in Höhe von 9,8 Mio. € im Jahr 2014. Momentan sieht es nicht so aus, dass unsere Industrie dem Carbon Leakage ausgesetzt ist.
Wir stehen dem Paradoxon gegenüber, dass einige unserer Wettbewerber (z.B. Ziegel, Schichtpressstoffplatten, Sperrholz) den Status des Carbon Leakage erhalten haben und 100 % kostenlose Zuteilung auf der Basis ihrer Bewertung bekommen – was mit der Zeit auch nicht weniger geworden ist. Hinsichtlich der CO2-Emissionen pro Quadratmeter haben wir aber eine bessere CO2-Bilanz als die meisten von ihnen. Deshalb haben wir der Kommission eine qualitative Bewertung unseres Falls übergeben, in der die Möglichkeit berücksichtigt wird, dass wir den Risiken des Carbon Leakage ausgesetzt sein können. Wir hoffen, dass diese Bewertung zur Aufnahme in die Liste des Carbon Leakage 2013 führen wird.
ZKG: Was ist zum Recycling von Gipsbauschutt zu sagen?
Bernard Lekien: Im Juli 2011 reichte Eurogypsum ein Projekt ein zum Programm LIFE+ mit dem Titel „Von der Wiege bis zur Wiege: eine Kreislaufwirtschaft für die europäische Gipsindustrie mit der Abbruch- und Recyclingwirtschaft“. Wir baten um eine Mitfinanzierung in Höhe von 50 % der Gesamtprojektkosten mit einem Betrag von 1,7 Mio. € bei einem Gesamtbudget von 3,7 Mio. €. Das Projekt befasst sich schwerpunktmäßig mit dem Abriss von fünf Baustellen, der Wiederaufbereitung von Gipsbauschutt in Wiederaufbereitungsanlagen und der Rückführung des aufbereiteten Gipsabfalls in den Herstellungsprozess, was technische Herausforderungen beinhaltet. Das Projekt umfasst 17 Partner, darunter Abrissfirmen, Wiederaufbereitungsunternehmen, Gipsproduzenten, zwei Universitäten und ein Labor. Ende März 2012 bat die Kommission um Klarstellungen zum Projekt, was ein gutes Zeichen für eine zukünftige Mitfinanzierung ist. Die Kommission wird ihre endgültige Entscheidung im Juli 2012 treffen. Das Projekt ist sehr wichtig für unsere Industrie, da wir zurzeit keinen kontaminierten Abfall recyceln. Mit diesem Projekt wollen wir auch die Kriterien zur Beseitigung von Gipsabfall schaffen, wenn Abfall aufhört Abfall zu sein und zu einem Produkt wird.
ZKG: Können Sie uns etwas zu Unterschieden in der Gipsproduktion in unterschiedlichen europäischen Ländern sagen? Gibt es unterschiedliche Nachfragen/individuelle Anforderungen in Abhängigkeit vom Land?
Bernard Lekien: Die Hauptnachfrage gilt Lösungen für eine gesunde gebaute Umwelt mit technisch-ökonomischen Anlagen. Um eine Wirtschaft mit einer geringen CO2-Belastung zu erreichen, müssen wir außerdem energieeffiziente Lösungen für die Renovierung des gegenwärtigen Gebäudebestands voranbringen. Die europäische Gipsindustrie hat innovative technologische und energieeffiziente Lösungen für die Innengestaltung von Gebäuden entwickelt mit einem kompletten Angebot von Wänden, Fußböden und Decken. Neben dem wichtigen Beitrag zur Wärmeisolierung und Energieeffizienz bieten Lösungen auf der Basis von Gips weitere wesentliche Vorteile hinsichtlich Sicherheit und Komfort. Es sollte erwähnt werden, dass die Innenisolierung oft die einzige Option für die Erhöhung der Energieeffizienz bei der Rekonstruktion eines Gebäudes darstellt. Daher hat Eurogypsum eine Broschüre verfasst mit zehn Fallstudien für Neubauten und Renovierungen, damit man an unseren Erkenntnissen und Erfolgen teilhaben kann, und um diese zu übermitteln. Damit sollen die Methoden der Innenisolierung in ganz Europa verbreitet werden mit dem Ziel, eine Innenisolierung durchzuführen, wann und wo es Sinn macht. Die europäische Gipsindustrie ist davon überzeugt, dass die Methoden der Innenisolierung Bestandteil eines Lösungspakets sind, um eine Wirtschaft mit geringer CO2-Belastung und ein grünes Wachstum zu erreichen.
ZKG: Welche Pläne, Absichten oder Veränderungen in der europäischen Gipsindustrie, die Sie in Ihrem Büro erarbeitet haben, geben Sie an Ihren Nachfolger weiter?
Bernard Lekien: Während meiner Präsidentschaft habe ich die Arbeitsmethoden unseres Verbandes vorangebracht, so dass wir an allen Schwerpunktthemen der Industrie effektiv arbeiten können (vom Abbau bis zum Recycling und zur Renaturierung). Deshalb habe ich wichtige strategische Prioritäten aufgestellt:
1. Wiederherstellung der Konkurrenzfähigkeit von Gipsprodukten innerhalb des ETS. Der Gipssektor wurde noch nicht als Carbon Leakage klassifiziert, und das schafft eine Marktverzerrung gegenüber unseren direkten Konkurrenten. Das ist ein Thema, das weiter behandelt wird.
2. Recycling von Baustellenabfall und Bauschutt aus Gips.
3. Förderung von Methoden der Innenisolierung von Neubauten und bei Rekonstruktionen. Das ist ein Beitrag zur Wirtschaft mit einer geringen CO2-Belastung.
4. Stärkung des Rufs von REA-Gips, indem die Kommission um den Status als Nebenprodukt gebeten wird.
5. Schaffung einer Strategie, um leichteren Zugang zu Ressourcen in Europa zu bekommen. Fokussierung auf die Renaturierung von Steinbrüchen, Vorantreiben von Verbesserungen bei der Artenvielfalt in unseren Steinbrüchen.
6. Schaffung eines Gipsforums im Europäischen Parlament, um den Trend zum nachhaltigen Bauen zu stärken.
7. Verbesserung der Sichtbarkeit von Eurogypsum mit Hilfe einer neuen Website im Jahr 2011.
Ein weiteres Thema, das wir angehen und das mein Nachfolger sicher übernehmen wird, ist die Raumluftqualität in energieeffizienten Gebäuden, die zu luftdicht sind, sowie die Erdbebensicherheit von nichttragenden Bauteilen in einem Gebäude.
ZKG: Herr Lekien, danke für das Interview.