Von Aachen nach Anatolien – ein Erfahrungsbericht

Als Student lernt man in den Vorlesungen einiges über die theoretischen Zusammenhänge von großtechnischen Prozessen. Man weiß beispielsweise, wie eine Kugelmühle funktioniert und kann Verweilzeiten in Reaktoren ausrechnen. Aber wie sieht das alles in der Realität aus? Funktionieren die Anlagen auch so, wie man es anhand des Wissens aus Vorlesungen und Übungen erwartet? Und nicht zuletzt, wie ist es, in einem Werk zu arbeiten, welche Perspektiven hat man nach dem Studium? Eine gute Möglichkeit, Antworten auf solche oder ähnliche Fragen zu bekommen, bietet sich, wenn man an einer Exkursion teilnimmt.

 
ZKG-Fachexkursion – ­Dyckerhoff Lengerich

Im Mai 2008 wurde eine solche Exkursion von der AVT – ­Aachener Verfahrenstechnik, hierin sind die Verfahrenstechnik-Lehrstühle der RWTH-Aachen zusammengefasst, angeboten. Organisiert wurde die Veranstaltung von der ZKG International. Ziel war das Zementwerk Lengerich (Bild 1) der Firma Dyckerhoff. ­Außerdem waren noch zahlreiche Unternehmen vertreten, die im Bereich Zementanlagenbau tätig sind.

Vor der Exkursion konnte ich bei ­vielen Kommilitonen allerdings ­keine große Begeisterung für diese Veranstaltung  feststellen: „Was will ich im Zementwerk – da ist doch alles total staubig und altbacken!“ Trotzdem fanden sich genug Teilnehmer für die zweitägige Veranstaltung. In verschiedenen Vorträgen wurden die Produktionsabläufe bei der Zementherstellung erklärt und die beteiligten Unternehmen stellten sich und ihre Produkte vor. Ein besonderes Highlight war natürlich die Besichtigung des Zementwerks, das schon allein durch die schiere Größe der einzelnen Anlagenteile beeindruckte.

Schnell stellte sich heraus, dass die Anlagen in einem Zementwerk ständig auf den neuesten Stand gebracht werden und dass daher so ein Werk spätestens auf den zweiten Blick nicht alt­backen ist. Während der Exkursion ergaben sich für uns Studenten viele Möglichkeiten, mit den Vertretern der verschiedenen Firmen in Kontakt zu treten. Sei es in den Pausen zwischen den Vorträgen, oder besonders während des gemeinsamen Abendessens, das erst deutlich nach Mitternacht – das Lokal wollte dann schließen – ein Ende fand.

So ergab sich für mich ein Kontakt zur Firma KHD Humboldt Wedag GmbH in Köln. Durch die Exkursion wurde bei mir die Begeisterung dafür geweckt, sich die Planung und Inbetriebnahme einer solch großen Anlage einmal aus der Nähe anzusehen. Bei Humboldt Wedag konnte ich dann ein mehrmonatiges Praktikum, zunächst zwei Wochen in der Fertigung und anschließend in der Thermischen Verfahrenstechnik absolvieren. Dazu gehörte auch ein Aufenthalt während der Inbetriebnahme einer Zementanlage in der Türkei (Tabelle 1).

Strömungsmessungen in der neuen 3800 t/d Ofenlinie von Kahramanmaras Cimento Ve Madencilik Isletmeleri (KCS)/Türkei

Für die Dauer des Praktikums wurde mir eine konkrete Auf­gabe gestellt. An dem neuen PYROFLOOR®-Klinkerkühler im Zementwerk Maras der KCS (Bild 2) sollten Strömungs­messungen durchgeführt werden. Bei der Anlage handelte es sich um einen kompletten Neubau, für den von Humboldt ­Wedag die “ Thermische Linie“, also Zyklonvorwärmer mit Calcinator, Drehrohrofen und der Klinkerkühler geliefert worden waren.

Nach einer allgemeinen Einführung in die Zementherstellung,

mussten dann zunächst die Messungen vorbereitet und geplant werden. Welche Messgeräte stehen zur Verfügung, welche Stelle ist am besten für die Messung geeignet und  wie führt  man die Messungen korrekt durch? All dies musste erledigt sein, bevor es über Istanbul in den Süd-Osten der Türkei ging.

Vor Ort mussten zunächst  Messstutzen an den Kühlluftkanälen angebracht werden, bevor es mit den Messungen losgehen konnte (Bild 3). Neben den durchzuführenden Messungen blieb zum Glück immer noch genug Zeit, den Kollegen über die Schulter zu schauen und einen Eindruck zu erhalten, welche Arbeiten während der Inbetriebnahme einer so großen Anlage anfallen. Außerdem bestand so die Möglichkeit, sich ein Zementwerk über den Zeitraum von ein paar Wochen genauer anzuschauen. Besonders beeindruckend war die Möglichkeit, Anlagenteile zu betreten, die bei normalem Betrieb nicht zugänglich sind. Man bekommt einen ganz anderen Eindruck, wenn man durch den Kühler läuft und von dort Brennerlanze und Ofen sehen kann, anstatt von außen lediglich  die Gebäude betrachten zu können, mit dem Wissen: normalerweise herrschen hier Temperaturen von deutlich über 1000 °C!

Während meines Aufenthalts im Werk wurde noch an allen möglichen Stellen gearbeitet (Tabelle 2). Es wurden Verriegelungstests durchgeführt, Messsysteme in Betrieb genommen oder die letzten Meter von Rohrleitungen gebaut. Klar erkennbar war dabei die oberste Priorität bei allen Arbeiten: die Anlage so schnell wie möglich „ans Laufen bringen“.  Da ein Aufzug im Vorwärmerturm nicht Voraussetzung dafür ist, hieß es hier die Treppe benutzen! Aber erst so lernt man die Größe der Anlage, die Höhe des Vorwärmerturms  betrug immerhin über 120 m, richtig einzuschätzen. Die beteiligten Firmen mussten dabei, obwohl mitunter Wettbewerber, möglichst  reibungslos miteinander zusammenarbeiten. Hier wurde wieder direkt der Aufbau eines Zementwerks als Abfolge ineinandergreifender Pro­zesse deutlich. Zum Beispiel macht es keinen Sinn, den Brenner zu zünden, wenn noch kein Rohmehl zur Verfügung steht.

Insgesamt bot sich eine sehr gute Möglichkeit, in den Arbeits­alltag eines Ingenieurs bei einer Anlagenbaufirma hinein zu schnuppern und für sich selber die Frage zu beantworten: „Zement – ist das was für mich?“. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die Humboldt Wedag GmbH und besonders die Abteilung Thermische Verfahrenstechnik!

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